Wir haben die beiden sympathischen Münchener in Nairobi getroffen und lesen noch heute die amüsanten Reiseberichte der beiden.
Andrea erzählt in deren Blog von den faszinierenden Erlebnissen während der langen Reise. Auch unser Treffen mit den beiden ist enthalten.
Hier ein Auszug aus dem Kenya-Bericht:
LOVELY LITTLE ZEBO
„Hey, Hallo! Sag mal, ihr seid doch das vom Buschtaxi-Forum?“, ein sympathischer Münchner im stylishen Blau-Weiss-Ringel-Shirt steht vor unserem Auto am Jungle Junction Campground und lächelt uns an. Wir bejahen, kommen ins Gespräch und es dauert nicht lange und wir sitzen beim Abendessen im Garten unter dem grünen Sonnenschirm gemütlich zusammen. Wir löffeln Kartoffelsuppe, Marco wickelt Spaghetti auf die Gabel, und im Laufe des Abends erzählt er uns im warmen Kerzenschein den eigentlichen Grund seines Nairobi-Aufenthalts:
Mission: Adoption! „Ja, meine Frau und ich, wir sind gerade so in den Endzügen“, seufzt er, „es ist leider alles nicht so einfach…ein unheimlicher Behördenaufwand! Jetzt haben wir erstmal Family Life genossen, das war echt schön, du, acht Monate lang am Strand, mit unserem Sohn!“ und wieder erscheint ein hinreissendes Lächeln auf seinem Gesicht.
Den Kleinen hätten sie sofort, aber s-o-f-o-r-t in ihr Herz geschlossen, erzählt Marco grinsend und eine Spur Vaterstolz legt sich über die funkelnden Augen, „den müsstet ihr mal sehen, der is echt klasse! – Die Zeit in Kenya war toll, aber jetzt“, fährt er fort, „jetzt würden wir ihn halt einfach so gerne mit nach Hause nehmen, ihm Schnee zeigen, Weihnachten unter´m Baum feiern, so als Familie. „
Leider gibt´s im Moment aber noch jede Menge zu tun, hier in Nairobi, der Kleine darf noch nicht mit, leidiger Papierkram steht an, es fehlen ein paar Stempel hier und ein paar andere da, der Kinder-Reisepass muss ausgestellt werden, Anträge, Formulare, Bürokratie. Marco telefoniert mit Behörden, sitzt in stickigen Büros, wartet an langen Schlangen, füllt wieder ein paar Formulare aus und hängt am nächsten Tag wieder am Telefon und sitzt wieder in staubigen Büros und guckt wieder Ventilatoren beim Drehen zu. Tag für Tag. Woche für Woche.
Gerade schiebt Marco den leeren Teller Spaghetti auf dem Eisentisch von sich, wir schütteln synchron die Köpfe über so viel unnötigen Aufwand, wo es doch eigentlich viel einfacher gehen könnte, da klingelt sein Handy. Sofort wird seine angenehm ruhige Stimme weich und liebevoll, er spricht langsam und deutlich ins Telefon: „Hallo! Wie geht es dir? Hast schon gegessen?“, und entfernt sich vom Tisch.
Als er zurückkommt breitet sich ein Strahlen über dem gebräunten Gesicht aus, winzige Augenfältchen graben sich über den Wangenknochen ein, die hellen Augen blitzen auf. „Das war Zebo. Mein Sohn“, und das Glück ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Ja, meine Frau und er sind noch da, an der Küste, sie werden aber bald hierher kommen. Dann lernt ihr sie kennen.“
Im Anschluss kriege ich einen verlangten Einführungskurs in die schwere Kunst des Ich-würd-halt-so-gern-ein-Kind-adoptieren: zuerst könnte man mal in heimatlichen Gefilden nachfragen, dort müsste allerdings in den meisten Fällen um die sieben Jahre Wartezeit einkalkuliert werden. Immerhin wird der Kontakt zu afrikanischen Waisenhäusern von deutschen Behörden hergestellt. Es folgt der Antrag: Namen kommen auf Listen, leere Zeilen werden gefüllt. Meistens wird man einen Jungen adoptieren können, erzählt Marco, denn für den müssen die Eltern Mitgift geben, die Hochzeit bezahlen, die zukünftige Braut „ablösen“. Für die Mädchen dagegen gibt es Kühe, Schafe, Ziegen, Geldgeschenke zur Hochzeit. Mädchen helfen im Haushalt, kümmern sich um die kleineren Geschwister, helfen der Mutter kochen, waschen, putzen. Mädchen werden nicht abgeben. Kaum.
Ist das Antrag-Stellen vorbei, warten deutsche Beamte zu Hause, haben Vorbilds-Kinderzimmer begutachtet, zufriedenstellende Interviews geführt, ein positives Ergebnis ausgestellt, dann, ja dann erst darf man auf Besuch zum Kind ins Waisenhaus nach Afrika. Versucht, warm zu werden mit dem fremden Menschlein, versucht, seine Liebe, Zuneigung, sein Vertrauen zu gewinnen. Das Herzlein zu erobern. Nach ein paar weiteren Besuchen, wenn die Chemie stimmt und die Behörden das auch so sehen, wird die Erlaubnis erteilt, sein Kind mitzunehmen, mit ihm vorerst in Kenya zu leben, sich kennenlernen, Familienleben kosten.
Neue Worte für den Kleinen, neue Gesten, neue Menschen, neue Liebe.
Ich kann es kaum begreifen, und bekomme schon fast einen Bandscheiben-Vorfall im Genick vom vielen Kopf-Schütteln: kaum zu glauben, wie unheimlich schwer es den Eltern gemacht wird, Liebe, Zeit, Nerven, Geld für ein (erst noch) fremdes, kleines, unbekanntes Kind schenken zu dürfen!
„Ja“, meint Marco lakonisch, „morgen geht der Wahnsinn weiter. Jetzt haben wir schon Probleme, weil wir unser Visum überziehen. Aber wir würden ja gerne heim fliegen, wie gesagt, Weihnachten steht vor der Tür, und wie schön wäre es, mit meinem Sohn zu Hause in Bayern zu feiern. Jetzt muss ich das morgen mal anschieben.“ Und weiter geht der Wahnsinn, das Chaos, rotierender Ventilator, tutendes Telefon, raschelndes Papier, kratzender Stift.
Am nächsten Tag springt ein lachender schwarzer Junge seiner weissen Mama vom Arm und rennt auf den Papa zu, Zebo weint und lacht gleichzeitig, schmiegt sich in die Schulter von Marco, schluchzt, vergiesst Freudentränen. Liebestränen.
Die Familie ist wieder zusammen. Andrea, Marco´s schöne Frau blitzt mich mit hellen, saphirblauen Augen an, ist glücklich wieder all ihre Lieben um sich zu haben. Strahleaugen. Strahlefamilie. Glücksstrahlen. Und wieder Zebo-Liebestränen.
Am nächsten Nachmittag frage ich, wie es gelaufen ist, auf den Behörden. „Ach ja“, lacht Andrea , „wir haben halt ein bisserl Arbeit verteilt, jetzt. Hoffentlich wird’s bald was“, nimmt den kleinen Zebo hoch, der will aber nicht so ganz, will lieber spielen. So beugt sich Andrea mit den ultrablauen Augen hinunter, hebt den Ball hoch und wirft. Hin und her und hin und her. Den ganzen Nachmittag. Zebo glücklich, Andrea froh, Marco fast. Der ist nämlich schon wieder am Telefon, versucht, das mit dem angeforderten Reisepass für Zebo zu beschleunigen. Sein kleiner Sohn schielt zu ihm hin, verpasst den Ball, lacht, läuft auf den Papa zu.
Ich verweile, staune, bin tief beeindruckt. Von der Kraft, der Liebe, der Ausdauer der Beiden. Von dem gemeinsamen sehnlichen Wunsch, ein Kind lieben zu dürfen. Sich zu kümmern, sich zu sorgen. Aufziehen, erziehen, in ihrer Mitte aufwachsen zu lassen. Die Frage nach dem Kindergarten wird gewissenhaft überlegt, vielleicht ein Montessori, vielleicht ein Waldkindergarten, wo wird sich der Junge am Wohlsten fühlen? Wo wird er sich am Besten entwickeln können? Was ist für den Kleinen das Richtige?
Zwei Tage darauf lasse ich mich von Wycliff, dem engagierten Jungle-Junction-Taxi-Fahrer vom der Shopping-Mall abholen. Ja, man sollte nicht mal die zwei Kilometer alleine zurück zum Camp gehen, könnte gefährlich enden. Ich wollte gerne ein paar neue T-Shirts kaufen, vielleicht einen Strohhut, ein paar FlipFlops. Ich geniesse das Shoppen, Cafe trinken, Leute beobachten. Ein Ausflug ins frühere Leben. Naja, fast. An die Münchner Fussgängerzone kommt natürlich kein Plastik-Neu-Modern-Shopping-Center heran. Schon gar nicht zur Zeit.
Ich denke auf der zweiten Gehirnspur mal ganz abschweifend sehnsüchtig an die weihnachtlich geschmückten Märkte daheim, knackige Zimtsterne, gebrannte Mandeln, geschmückte Tannenbäume, erinnere mich an den süßen Geruch von Glühwein, der in der dicken Tasse dampft. Bratwürste mit Senf, knusprige Semmeln, glitzernde Steine mit funkelnden Diamanten drin, goldene Girlanden, platte Strohsterne, rot schimmernde Kugeln, urige Christkindl-Markt-Hütten, knirschender Schnee, glimmernde Lampen. Kuschelige Atmosphäre. Stimmungsvolle Weihnachtslieder. Besinnlichkeit. Freunde treffen, dicke Mützen im Gesicht. Dampf, der aus dem Mund in kleinen Kringeln in die Luft schwebt. Angestrahlte Weihnachtsbäume mit riesigen leuchtenden Sternen darauf. Plätzchen, Familie, Weihnachtsgans. Oh, ich muss aufhören, sonst will ich sofort, aber sofort einen Flug buchen. Heim. Heim zu Weihnachten.
Stopp. Hier ist es ja auch ganz schön, unterbreche ich meinen geistigen Bildband, ich meine, ich sitze in Spaghetti-Top und kurzem Rock im Dezember und schlürfe Cafe mit Chapati. Also wirklich! Kein Grund zur Beschwerde! – Ich muss los, das Taxi biegt ein:
Wycliff holt mich ab und sagt, „macht Dir hoffentlich nichts aus, wir müssen noch ein wenig warten: Marco, Andrea und der kleinen Zebo wollten auch agbeholt werden“. „Nö, klar, kein Problem“, sage ich, „ich finde die eh super“. „Yes“, raunt Wycliff da „Me too, they are lovely people!“ und sagt, wie „fantastic“ er es findet, dass die beiden einen kenyanischen Jungen adoptiert haben.
„You know, what normally happens… with kids like him, like Zebo?“, frägt mich der schwarze 36-jährige Familienvater im tadellosen, platt gebügelten lilafarbenen Hemd, das akkurat in seiner ebenfalls gebügelten Tipp-Topp-dunklen Jeans über den blitzblank polierten Lederschuhen steckt. „You know what happens?“, wiederholt er. „Es ist immer dasselbe“, sagt der kenyanische Fahrer, „Kinder wie Zebo, Kinder ohne Eltern, Kinder ohne Familie, Kinder ohne Menschen, die sie haben wollen, die für sie sorgen, die gehen ein. – Very simple!“, seufzt der gläubige Christ Wycliff. „They will become beggars, sie haben keine Zukunft, es sind die Kinder, die an die Scheibe klopfen, wenn du an der Ampel stehst. Keine Liebe, keine Familie, keine Zukunft. Und wenn das Betteln nicht genügend Essen bringt, wenn der Hunger zu stark wird, dann stehlen sie. Und wenn sie stehlen, dann kommt die schiefe Bahn. Sie schlafen in Gassen, betteln und stehlen, können nichts dafür, werden auf die schlechte Seite des Lebens gezogen. Für´s Überleben. Für´s Essen. Für Sich.“
„Wenn dich keiner liebt, gehst du ein, so einfach ist das“, sagt der Schwarze nach einer Schweigeminute. „Und deswegen“, schliesst Wycliff, denn gerade biegen die drei Strahlelichter um die Ecke der Mall, der kleine Zebo baumelt in der Mitte, fest gehalten von beiden weissen Händen, „und deswegen“, wiederholt Wycliff „is it verrry, verrry good of them to take little Zebo. He will have such a better future. With a loving mama and a loving daddy.“
Da steigen die drei ein, der kleine Zebo bietet mir mit krümeligem Mund ein angelutschtes Plätzchen an, „für dich, für dich“, sagt er und ich schaue in seine runden, tiefbraunen Augen, auf die verkrümelten Pausbäckchen und schmelze selbst dahin. Kleiner, süßer Zebo, dem die Zukunft geschenkt wurde.